iStock/ Vladimir Vladimirov
Die psychische Gesundheit von Schülerinnen und Schülern
Kinder und Jugendliche bringen ihre eigenen Erfahrungen und Belastungen mit in die Schule. Hier bleibt häufig nicht viel Zeit, auf Probleme einzugehen, sofern sie denn überhaupt erkannt werden. Lehrkräfte berichten, dass sie sich nicht gut auf den Umgang mit psychischen Problemen der Schülerinnen und Schüler vorbereitet fühlen. Lesen Sie daher im Folgenden, wie es um die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen steht und wie Schule unterstützen kann.
Wie steht es um psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen?
Viele Kinder und Jugendliche machen schon früh Erfahrungen mit belastenden Ereignissen, wie der Trennung der Eltern, Krankheit oder Verlust. In Untersuchungen geben circa die Hälfte der Befragten an, in ihrer Kindheit und Jugend mit schwerwiegenden Lebensereignissen konfrontiert worden zu sein. Die Allermeisten verarbeiten diese Ereignisse und bleiben gesund.
Zahlen zur Häufigkeit von psychischen Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen liefert die BELLA-Studie, welche zuletzt 2017 veröffentlicht wurde. Hier zeigten 17 Prozent der 3- bis 17-jährigen psychische Auffälligkeiten. Andere Studien kommen zu ähnlichen Ergebnissen. Viele dieser Auffälligkeiten bleiben über Jahre hinweg bestehen.
Es gibt Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen: Jungen sind bis zum Alter von 15 Jahren häufiger von psychischen Erkrankungen betroffen als Mädchen. Danach kehrt sich der Geschlechterunterschied um. Mädchen sind häufiger von Depressionen und Ängsten betroffen, während Jungen häufiger Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörungen (ADHS) und Störungen des Sozialverhaltens aufweisen.
Die Zahlen verdeutlichen, dass die Kindheit und Jugend vieler junger Menschen nicht so unbeschwert ist, wie wir gerne glauben mögen. Diese Erkenntnis hat sich während der Corona-Pandemie auch gesellschaftlich ausgeweitet. Während der akuten Phase der Pandemie verdoppelten sich die psychischen Auffälligkeiten bei Jugendlichen annähernd. Zu den Symptomen psychischer Auffälligkeiten gehören beispielsweise:
• Aggressivität
• Regelbrüche
• Reizbarkeit
• Hyperaktivität
• Unfähigkeit Freundschaften aufrechtzuerhalten
• Ausdehnte oder häufige Traurigkeit, Nervosität, Sorgen
Was schützt Kinder und Jugendliche vor psychischen Erkrankungen?
Längst nicht alle Kinder und Jugendliche, die traumatische Erfahrungen gemacht haben, in relativer Armut aufwachsen oder deren Eltern an chronischen Erkrankungen leiden, entwickeln psychische Auffälligkeiten. Es gibt Schutzfaktoren, die Kindern und Jugendlichen helfen können, belastende Situationen und Erlebnisse zu verarbeiten. Sie lassen sich in personale Ressourcen und Umweltressourcen unterteilen.
Personale Ressourcen meinen z. B. den Charakter, die Kompetenzen und das Temperament von Kindern. Kinder mit vielen personalen Ressourcen sind überwiegend guter Stimmung und zeigen sich in neuen Situationen bspw. sehr anpassungsfähig. Diese Eigenschaften helfen ihnen, mit anderen gut zurechtzukommen.
Umweltressourcen sind Familie, Lehrkräfte, Freundinnen und Freunde sowie weitere Menschen, die im Leben der Kinder eine Rolle spielen. Bedeutsam sind vor allem ein positives Familienklima und familiärer Zusammenhalt. Sie reduzieren das Risiko einer psychischen Erkrankung um etwa die Hälfte. Aber auch soziale Kontakte außerhalb der Familie können einen Schutz gegen belastende Erlebnisse und genetische Vorbelastung bilden.
Welchen Beitrag kann die Schule leisten?
Die Schule kann als Umweltressource einen wichtigen Beitrag zur psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen leisten. Darunter fallen vor allem die sozialen Kontakte zu Gleichaltrigen, aber auch zu Lehrpersonen, die durch emotionale Unterstützung und Zuneigung einen Anker für gefährdete Kinder und Jugendliche darstellen können.
Es ist jedoch wichtig, sich bewusst zu machen, dass Lehrkräfte nicht die Verantwortung für die Gesundheit der Schülerinnen und Schüler tragen. Dies fällt vor allem in den Bereich der Eltern, der Ärzte oder Therapeutinnen. Dennoch können Lehrkräfte eine wichtige Ressource für die gesunde Entwicklung ihrer Schülerinnen und Schüler darstellen.
So raten Schulpsychologen im Umgang mit belasteten Kindern zunächst zum Aufbau einer guten Beziehung, damit Lehrkräfte als Ansprechpersonen wahrgenommen werden können. In Gesprächen ist es ratsam, den Fokus auf die positiven Aspekte, die Stärken und Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler zu lenken und nicht allein Defizite und Probleme in den Mittelpunkt zu stellen. Positive Aspekte können Erfolge in der Schule und beim Sport, Hobbies und wertvolle soziale Beziehungen sein.
Im Falle einer sehr stark belastenden Situation, für Lehrkräfte wie für Betroffene, ist es ratsam eine Beratung durch den zuständigen schulpsychologischen Dienst in Anspruch zu nehmen.
Quellen
Barkmann C, Schulte-Markwort M. Prevalence of emotional and behavioural disorders in German children and adolescents: a meta-analysis. J Epidemiol Community Health 2012; 66(3):194–203. doi: 10.1136/jech.2009.102467.
Bruland D, Kornblum K, Harsch S, Bröder J, Okan O, Bauer U. Schüler mit einem psychisch erkrankten Elternteil und die Mental Health Literacy von Lehrkräften. Prax Kinderpsychol Kinderpsychiatr 2017; 66(10):774–90. doi: 10.13109/prkk.2017.66.10.774.
Copeland WE, Shanahan L, Hinesley J, Chan RF, Aberg KA, Fairbank JA et al. Association of Childhood Trauma Exposure With Adult Psychiatric Disorders and Functional Outcomes. JAMA Netw Open 2018; 1(7):e184493. doi: 10.1001/jamanetworkopen.2018.4493.
Das deutsche Schulportal. Wie kann ich als Lehrerin ein depressives Kind unterstützen?; 2019. Verfügbar unter: https://deutsches-schulportal.de/schulkultur/wie-kann-ich-als-lehrerin-ein-depressives-kind-unterstuetzen [19.08.2022].
Klasen F, Meyrose A-K, Otto C, Reiss F, Ravens-Sieberer U. Psychische Auffälligkeiten von Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Monatsschr Kinderheilkd 2017; 165(5):402–7. doi: 10.1007/s00112-017-0270-8.
Klasen F, Petermann F, Meyrose A-K, Barkmann C, Otto C, Haller A-C et al. Verlauf psychischer Auffälligkeiten von Kindern und Jugendlichen. Kindheit und Entwicklung 2016; 25(1):10–20. doi: 10.1026/0942-5403/a000184.
Lenz A, Kuhn J. Was stärkt Kinder psychisch kranker Eltern und fördert ihre Entwicklung? Überblick über die Ergebnisse der Resilienz- und Copingforschung. Kinder mit psychisch kranken Eltern. Klinik und Forschung 2011. doi: 10.25656/01:3540.
Ogle CM, Rubin DC, Berntsen D, Siegler IC. The Frequency and Impact of Exposure to Potentially Traumatic Events Over the Life Course. Clin Psychol Sci 2013; 1(4):426–34. doi: 10.1177/2167702613485076.
Plass A, Haller A-C, Habermann K, Barkmann C, Petermann F, Schipper M et al. Faktoren der Gesunderhaltung bei Kindern psychisch belasteter Eltern. Kindheit und Entwicklung 2016; 25(1):41–9. doi: 10.1026/0942-5403/a000187.
Ravens-Sieberer U, Kaman A, Erhart M, Devine J, Hölling H, Schlack R et al. Quality of Life and Mental Health in Children and Adolescents during the First Year of the COVID-19 Pandemic in Germany: Results of a Two-Wave Nationally Representative Study. SSRN Journal 2021. doi: 10.2139/ssrn.3798710.
Ravens-Sieberer U, Wille N, Bettge S, Erhart M. Psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Ergebnisse aus der BELLA-Studie im Kinder- und Jugendgesundheitssurvey (KiGGS). Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz 2007; 50(5-6):871–8. doi: 10.1007/s00103-007-0250-6.
Steffen A, Akmatov MK, Holstiege J, Bätzing J. Diagnoseprävalenz psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland: eine Analyse bundesweiter vertragsärztlicher Abrechnungsdaten der Jahre 2009 bis 2017. Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland (Zi). Versorgungsatlas-Bericht Nr. 18/07. Berlin 2018. DOI: 10.20364/VA-18.07.
Traub F, Boynton-Jarrett R. Modifiable Resilience Factors to Childhood Adversity for Clinical Pediatric Practice. Pediatrics 2017; 139(5). doi: 10.1542/peds.2016-2569.
Wille N, Bettge S, Ravens-Sieberer U. Risk and protective factors for children's and adolescents' mental health: results of the BELLA study. Eur Child Adolesc Psychiatry 2008; 17 Suppl 1:133–47. doi: 10.1007/s00787-008-1015-y.
Witt A, Sachser C, Plener PL, Brähler E, Fegert JM. The Prevalence and Consequences of Adverse Childhood Experiences in the German Population. Dtsch Arztebl Int 2019; 116(38):635–42. doi: 10.3238/arztebl.2019.0635.
Hier das Unterrichtsmaterial downloaden: